Lärmschutz ist Pflicht

Das Märchen vom „modernen Flüsterzug“
Wer bisher keine Gelegenheit hatte, sich einen akustischen Eindruck über Dieseltriebwagen zu machen, kann sich dieses Video anschauen. Es zeigt Dieseltriebwagen vom Typ LINT der Vareo (DB) in Doppeltraktion bei der Ein- und Ausfahrt in Köln-Deutz, wo ohnehin keine hohen Geschwindigkeiten gefahren werden. Der gleiche Zugtyp ist auch Gegenstand der Planung und  wurde von der WLE auch bei den Schnupperfahrten im September 2017 eingesetzt. Da haben Sie nichts gehört? In Köln hört sich das mit leichter Beschleunigung schon ganz anders an. Die Aufnahmen wurden tontechnisch nicht nachbearbeitet.

Suchen Sie doch auch mal auf Youtube mit den Schlagwörtern „BÜ LINT ERIXX“ nach Videos von Bahnübergängen, da wird es noch viel lauter…

Passiver Lärmschutz reicht nicht
Auch wenn moderne Züge leiser sind als früher, verursachen sie immer noch erhebliche Lautstärken – insbesondere in Kurven, beim Bremsen und Anfahren. 100 Züge/Tag sollen mit 80 km/h mit einem Abstand von teilweise weniger als 10 m an Wohngebäuden vorbeifahren. Lärm, Abgase und Erschütterungen gefährden die Gesundheit der Anwohner. Hier müssen mindestens Schallschutzwände eingeplant werden, nicht nur Schallschutzfenster! Die Lärmbelästigung betrifft nicht nur Anlieger direkt an der Bahn; auch in 100 m Entfernung können häufig zulässige Grenzwerte überschritten werden.

Rechtliche Verpflichtung zu aktivem Schallschutz
Nach den einschlägigen Rechtsvorschriften müssen bei einem sog. „erheblichen baulichen Eingriff“ in eine Schienenstrecke, die nicht nur reine Instandsetzung ist, vorrangig aktive Schallschutzmaßnahmen wie Lärmschutzwälle oder -wände zum Schutz der anliegenden Grundstücke geplant werden. Hier soll die komplette Trasse von Grund auf erneuert werden, kein Stein bleibt auf dem anderen – einschließlich Brücken und Bahnübergängen. Außerdem wird die Strecke mit Ausweichgleisen aufgerüstet und in weiten Teilen in der Lage verändert, damit die Streckengeschwindigkeit überhaupt erreicht werden kann. Von daher handelt es sich nicht um reine Instandsetzungsmaßnahmen, sondern einen solchen „erheblichen baulichen Eingriff“, der zu sog. Lärmvorsorge, d.h. Lärmschutzmaßnahmen an der Quelle des Lärms verpflichtet.

Effektiver Schallschutz ist bis zu vier Meter hoch

Die Städte Münster und Sendenhorst haben im Rahmen von Neubaugebieten an der WLE-Trasse bereits Schallschutzgutachten auf Basis aktueller Rechtslage erstellen lassen (z.B. Petersheide und Kohkamp). Diese Gutachten sehen mindestens eine Kombination aus Schallschutzwänden und Schallschutzfenstern mit Lüftungsanlagen für die Anlieger vor. Die Gutachten sind nicht mehr online verfügbar, liegen uns aber vor. Anfang 2020 wurde mit dem Bau einer bis zu vier Meter hohen und rund 500 Meter langen Lärmschutzwand für das Neubaugebiet Petersheide in Münster-Wolbeck begonnen. Die übermannshohe Metallkonstruktion wurde aufgrund eines Lärmschutzgutachtens im Bebauungsplan 2017 vorgeschrieben und soll die Anwohner vor dem Lärm der WLE schützen. Die Konstruktion ist mit Erde gefüllt und soll später begrünt werden. Die massiv wirkende Wand wird von den Bürgern kritisch beäugt, stellt aber einen effektiven Lärmschutz für die Anwohner sicher. Die Kosten trägt hier allerdings nicht die WLE, sondern das für das Bauprojekt verantwortliche Bauunternehmen.

Rolle rückwärts mit drittem Gutachten: Doch keine Lärmschutzwand!
Die vom ZVM ursprünglich veröffentlichen Schallschutzabschnitte zeigten bereits über 131 Fälle (=Gebäude) mit Anspruch auf passiven Schallschutz (Schallschutzfenster). Ferner waren über 121 Fälle bei Fassaden identifiziert worden, bei welchen voraussichtlich Anspruch auf weiteren passiven Schallschutz (Fassadendämmung) besteht. Die Unterlagen lassen ferner darauf schließen, dass Eigentümern für nicht schützbare Bereiche wie Balkone und Gärten signifikante Entschädigungszahlungen zustehen. In der Zwischenzeit wurden die Unterlagen mit Hinweis auf Überarbeitung vom ZVM von deren Webseite entfernt. Ein von der WLE beauftragtes Gutachten sollte damals dagegen ausschließlich 5 Kilometer Schallschutzwände (2 m Höhe) oder Schienensteg-Dämpfungen ohne Schallschutzfenster vorsehen.

Anfang Februar 2018 stellte die WLE in einem Pressetermin einen überarbeiteten Planungsstand vor. Es würden nun keine Schallschutzwände mehr notwendig sein. Stattdessen würden kleine Metallplatten an der Schiene (Schienensteg-Dämpfungen) über eine Länge von 2,7 km ausreichen. Begründet wird dieser minderwertige Schallschutz damit, dass man in dem vorherigen Gutachten eine falsche Zugkonfiguration für die Berechnung zugrunde gelegt habe und man davon ausgehe, dass nun keine Güterzüge mehr fahren würden. In die Nutzen-Kosten-Analyse aus 3/2019 flossen für Schallschutz Kosten für die Gesamtstrecke i.H.v. 550 TEUR ein.

2020 und 2022 Gutachten veröffentlicht  – Anzahl Schutzfälle steigt
Das finale Gutachten konnten die Anlieger erst mit Beginn des Planfeststellungsverfahrens 2020 einsehen. Es erfolgte in 2022 im „Deckblattverfahren A“ eine Korrektur aufgrund von Fehlern und erneute Offenlage. Dabei stieg die Anzahl von ursprünglich 209 Schutzfällen, die Lärmschutzmaßnahmen erforderlich machen, auf 267 Schutzfälle an. Im Gutachten entscheidet man sich auf Lärmschutzwände zu verzichten und schlägt stattdessen die Schienensteg-Dämpfung (SSA) als Vorzugsvarianter vor. Lt. Gutachten werden 2,9 km davon verbaut.  Dabei verbleiben 90 ungelöste Schutzfälle, welche Ansprüche auf passiven Lärmschutz haben (Lärmschutzfenster etc.). Das Motiv für die „Vorzugsvariante“ der Schienensteg-Dämpfung wird wohl der Preis sein. So verursacht der laufende Meter nur Kosten von rund 163 EUR. Der laufende Meter einer Schallschutzwand würde je nach Höhe rund 1.300 EUR kosten. Ob Schienensteg-Dämpfungen ausreichend sind, werden die Anlieger rechtlich im Planfeststellungsverfahren überprüfen lassen müssen.

Erschütterungsschutz – 13 mögliche Fälle
Das Fachgutachten für den Erschütterungsschutz wurde erstmals 2020 im Planfeststellungsverfahren offen gelegt. Man geht davon aus, dass ab einer Entfernung von 11 bis 12 m zum Gleis für den Streckenabschnitt von Sendenhorst bis Wolbeck und von 12 bis 13 m zum nächstgelegenen Gleis für den Streckenabschnitt von Wolbeck bis Münster die Anhaltswerte der DIN 4150, Teil 2, für Erschütterungsimmissionen für Wohngebiete (WR/WA) für den Tages- und Nachtzeitraum bei den jeweils vorgesehenen Frequentierungen auch für die jeweils ungünstigste angenommene Deckenart eingehalten werden. Bei Gebäuden die näher am Gleis liegen, hängt die Betroffenheit von Aufbau des Gebäudes und der Decken ab. Um hier eine Betroffenheit ausschließen zu können, sei eine Ermittlung des Deckenaufbaus und eine Messung der Resonanzfrequenzen in den Gebäuden empfohlen. Es sollten hierzu in 13 Gebäuden Erschütterungsmessungen auf den Decken und an einem Bodenmesspunkt bei Vorbeifahrten erfolgen.  Technische Maßnahmen gegen Erschütterung sind bisher nicht vorgesehen.

Letzte Änderung 26.2.2023